Während der Arbeit bewegt mich auch sehr stark der Gedanke an die Wirkung des fertigen Werkes : das Ganze soll ein Stück absoluten Lebens darstellen - Wahrheit, die Freude bereitet und mit Trauer verbunden ist.
Karl Amadeus Hartmann 1905 - 1963
Verehrtes Publikum,
Auf Grund der noch immer relativen Unbekanntheit des deutschen Komponisten Karl Amadeus Hartmann, hat man mich gebeten, zu diesem Konzert einen kleinen Einführungstext zu schreiben.
Es ist natürlich nicht möglich einem grossartigen Komponisten wie Hartmann auf so kleinem Raum vollumfänglich gerecht zu werden. Ich beschränke mich auf ein paar wenige Punkte, die mir – besonders auch in Bezug auf die Klaviersonate « 27. April 1945 » - wesentlich erscheinen. Dabei möchte ich vor allem den Komponisten selbst sprechen lassen.
Als Grundlage dazu diente mir das kurz nach Hartmanns frühem Tod im Jahre 1963 bei Schott erschienen Buch « Kleine Schriften ». Der Komponist hat darin all das zusammengetragen und zusammenegestellt, was er im Lauf der Jahre an Gedanken und Erinnerungen im Wort niedergelegt hat.
Es würde mich freuen, heute Ihr Interesse und Ihre Neugierde zu wecken, diesen grossen Musikers des zwanzigsten Jahrhundert kennenzulernen.
Esther Walker
Karl Amadeus Hartmann wurde 1905 als jüngster von vier Söhnen in eine lebendige, weltoffene, unorthodoxe Münchner Künstlerfamilie hineingeboren. Sehr früh schon wollte er Musiker werden. Sein ersten Kompositionen sind aufgeweckt- freche Stücke im Stil des Zeitgeistes der zwanziger Jahre. Nach eigenen Worten verschmolz er darin « unbekümmert Futurismus, Dada, Jazz und anderes ». Allerdings hat er später die meisten dieser frühen Werke vernichtet.
Es kam das Jahr 1933 und damit der entscheidende Bruch in seiner künstlerischen Biografie. Er schreibt darüber :
« Dann kam das Jahr 1933, mit seinem Elend und seiner Hoffnungslosigkeit, mit ihm dasjenige, das sich folgerichtig aus der Idee der Gewaltherrschaft entwickeln musste, das furchtbarste aller Verbrechen – der Krieg. In diesem Jahr erkannte ich, dass es notwendig sei, ein Bekenntnis abzulegen, nicht aus Verzweiflung und Angst vor jener Macht, sondern als Gegenaktion. Ich sagte mir, dass die Freiheit siegt, auch dann wenn wir vernichtet werden – das glaubte ich jedenfalls damals. Ich schrieb in dieser Zeit mein erstes Streichquartett, das Poème Symphonique « MISERAE » und meine erste Sinfonie mit den Worten von Walt Whitman : « Ich sitze und schaue auf alle Plagen der Welt und auf alle Bedrängnis und Schmach. »
Dieser bedeutenden Sinfonie sollten später noch sieben Weitere folgen.
Dem « MISERAE » fügte er die Widmung bei : « Meinen Freunden, die hundertfach sterben mussten, die für die Ewigkeit schlafen, wir vergessen euch nicht. (Dachau 1933/34). »
Dem brennenden Antifaschist Hartmann blieb in den Jahren von 1933 bis 1945 kein anderer Weg als der der « inneren Emigration ». In Deutschland wurden seine Kompositionen nie aufgeführt, und – sieht man von ein paar ganz wenigen Konzerten im Ausland ab – komponierte Hartmann in diesen Jahren ausschliesslich « für die Schublade ». Alle in dieser dunklen Zeit entstandenen Werke sind erfüllt von Visionen des Schreckens. Anklage und Mitleid verbinden sich zur grossen pathetischen Gebärde, deren intensiven Ausdruckskraft man sich nur schwer entziehen kann. Aus diesen Jahren stammt unter anderem auch eines seiner wohl bekanntesten Werke, das « concerto funebre » für Violine und Streicher, sowie die Urfassung seiner Oper « Simplicius Simplicissimus »
In den Jahren 1941/42 arbeitete Hartmann mit Anton Webern in Wien zusammen. Ein Briefwechsel mit seiner Frau zeugt von der Intensität des Austausches zwischen den beiden wesensmässig so verschiedenen Komponisten. Später erinnert er sich :
« Ich war in dieser Zeit sehr glücklich ; trotz aller Isolierung hatte ich einen Gleichgesinnten als Lehrer und als Freund gefunden, sein Glaube an die Musik gab mir Kraft weiterzuarbeiten. »
Jahre nach dem Krieg, zu einer Zeit als Hartmann bereits ein hochangesehener Komponist war schreibt er über seine Musik :
« Ich bin heute mit meiner Musik zufrieden, und der Weg, den ich eingeschlagen habe, ist für mich der richtige…Vor allem möchte ich so schreiben, dass man mich versteht ; - jede Note soll durchfühlt und jede Zweiundreissigstel-Pause aufmerksam durchgeatmet sein. Wem meine Grundstimmung depressiv erscheint, zuwenig hoffnungsfroh, den frage ich, wie ein Mensch meiner Generation seine Epoche anders reflektieren kann, als mit einer gewissen schwermütigen Bedenklichkeit. Ein Künstler darf nicht in den Alltag hineinleben, ohne gesprochen zu haben. Wenn meine Musik in letzter Zeit oft Bekenntismusik genannt wurde, so sehe ich darin nur eine Bestätigung meiner Absicht. Es kam mir darauf an, meine auf Humanität hinzielende Lebensauffassung einem künstlerischen Organismus mitzuteilen… »
Und später :
« Ich will keine leidenschaftslose Gehirnarbeit, sondern ein durchlebtes Kunstwerk mit einer Aussage. Es braucht nicht verstanden zu werden in seinem Aufbau oder seiner Technik, sondern soll verstanden werden in seinem Sinngehalt, der gleichwohl verbal nicht immer formuliert werden kann. Das Werk drückt einen Sachverhalt von so grosser Allgemeinheit aus, dass die Wort – und Begriffsraster zu klein dafür sind und noch sich ihm gegenüber als blind und stumpf erweisen. »
Nach Kriegsende kam Hartmann in München noch eine ganz besondere Rolle zu. Er war Gründer und Leiter der Konzertreihe « Musica Viva ». Es war ein zukunftsträchtiger Ort, wo die Stücke junger Komponisten und der bisher Verfemten aufgeführt wurden. Komponisten wie Nono, Henze, Boulez und Stockhausen erlebten hier erstklassige Aufführungen ihrer frühen Werke.
Zur Sonate « 27. April 1945 »
Gegen Ende des Krieges hielt sich Hartmann in Kemptenhausen am Starnberger See von den Nazis versteckt. Da wurde er am 27. April 1945 Augenzeuge, wie die SS eine Schar Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau Richtung Süden trieben, ihrer Ermordung entgegen. Da der « Fall » von Dachau unmittelbar bevorstand, wollte man verhindern, dass diese Menschen in die (rettenden) Hände der Amerikaner fielen, « evakuierte » sie und brachte sie an einem verschwiegenen Ort um.
Dieses schreckliche Ereignis konnte Hartmann offensichtlich nur verarbeiten, indem er unverzüglich die Komposition der Sonate « 27. April 1945 » in Angriff nahm.
Er hat dieses sehr persönliche Werk lange unter Verschluss gehalten und sich auch gegen dessen Aufführung in den fünfziger Jahren gewehrt. So ist dann dieses Stück erst 1983 im Druck erschienen. Dem Notentext stellt der Komponist die Worte voran :
Am 27. und 28. April 1945 schleppte sich ein Menschenstrom von Dachauer «Schutzhäftlingen» an uns vorüber
unendlich war der Strom -
unendlich war das Elend -
unendlich war das Leid –